Vorbemerkung: Dies ist ein Artikel, den ich 2022 geschäftsintern veröffentlichte. Aus aktuellem Anlass schalte ich ihn hier auf.
Strand, Berge, gutes Essen und ein fesselnder Roman. Einfach abschalten. Krieg, Klimakrise und Korrosion der Gesellschaft mal ausblenden. Darf man das? Oder ist das Eskapismus, Weltflucht? Ja, man darf. Und man soll. Die Welt braucht unser aller Engagement. Aber dieses können wir nur bringen, wenn wir einigermassen im Lot sind. Wie das auch im hektischen Alltag geht, zeigt mein Ferienlesetipp auf.
Eigentlich stehe ich überhaupt nicht auf Selbsthilfeliteratur. Zu oft ist es eine oberflächliche Selbstoptimierung, die da propagiert wird. Zufällig bin ich auf das 2020 (gerade zu Beginn der Pandemie) erschienene Buch «Die Kunst in schwierigen Zeiten nicht durchzudrehen» gestossen. Es liest sich leicht und enthält viele praktische Tipps, wie man inmitten sich überstürzender negativer Ereignisse einen kühlen Kopf behält – und vielleicht auch ein zufriedeneres Leben führen kann.
Wie das geht, erklärt Autor Ralf Senftleben anhand von zehn Prinzipien und nochmals etwa so vielen Techniken. Er schliesst dann mit der Anwendung von beidem auf verschiedene schwierige Situationen wie Unfreundlichkeit, Konflikte oder Selbstzweifel. Die zehn grossen Prinzipien lauten:
- Konzentriere dich auf das, was du beeinflussen kannst
- Vermeide Überlastung
- Finde deine Aufgabe
- Sieh die Welt, wie sie ist
- Schau auf die guten Dinge in deinem Leben
- Wähle weise, welche Bedeutungen du den Dingen gibst
- Nimm deine Gefühle und Gedanken nicht zu ernst
- Das wahre Glück findet jetzt statt
- Kümmere dich zuerst um deine wichtigsten Dinge
- Löse deine Probleme
Da ansetzen, wo man kann und will
Nehmen wir zum Beispiel Prinzip 1: Konzentriere dich auf das, was du beeinflussen kannst. Das scheint ja eigentlich völlig klar. Wir können weder die globale Politik noch die Gesellschaft als Ganzes noch eine Pandemie so wirklich beeinflussen. Das Wetter schon gar nicht. Andere Dinge, wie Krankheiten, eine Kündigung oder die Meinung anderer über uns – darauf haben wir nur teilweise Einfluss. Und doch verwenden wir viel Zeit und Aufmerksamkeit auf diese Bereiche. Es gibt aber Dinge, die durchaus in unserem Einflussbereich liegen: Was man kauft oder nicht kauft. Wohin und wie man reist. Wofür man sich entscheidet. Wie man auf das reagiert, was andere sagen. Mit welchen Menschen man sich umgibt, welche Medien man konsumiert. Man soll die ersten drei Bereiche, also die von keinem bis teilweisem Einfluss, nicht ignorieren, aber dennoch 90% der Aufmerksamkeit dem Bereich widmen, den wir beeinflussen können. Und was ist mit den anderen 10%? Hier gibt es fast nur eins: Da aktiv werden, wo es einem wirklich wichtig ist. Schnell wird klar, dass man nicht gleichzeitig alle Probleme lösen kann. Man muss Prioritäten setzen, aber sich bloss aufregen ändert nichts.
Wo man ansetzten will, das heisst wie man seine Aufgabe findet, ist Thema von Prinzip 3. Man kann sich dazu eine Reihe von Fragen stellen, etwa wofür man persönlich brennt oder was für andere und die Welt wichtig ist. Auch hilfreich ist es, sicher seiner eigenen Werte bewusst zu werden. Sie helfen in hektischen Situationen Entscheidungen zu treffen, die man später nicht bereut.
In den Ferien richtig abschalten und Energie tanken
Prinzip 2 (vermeide Überlastung) und Prinzip 4 (sieh die Welt, wie sie ist) zeigen auch, warum Ferien durchaus sinnvoll sind: Wenn man immer auf 100% oder darüber läuft, dann laugt man aus. Es braucht Pausen, Zeiten der Ruhe. Wenn man nur noch in Social Media oder Newstickern hängt, wo (Nachrichtenwerttheorie lässt grüssen) die negativen Meldungen dominieren, kriegt man ein sehr düsteres Weltbild. Bei allem Elend und aller Zerstörung kann man übersehen, dass auch viel Gutes passiert, dass sich Menschen gegenseitig helfen, dass immer mehr Krankheiten behandelt oder gelindert werden können oder dass grosse Teile der Menschheit (und besonders wir) in einem noch nie da gewesenen Wohlstand leben. Sich auf das Gute ausrichten ist dann ja auch schon Prinzip 5 und (hoffentlich) in den Ferien einfacher. Ferien sind also sinnvoll um Energie zu tanken, sich auszurichten und dann wieder voll in der Welt sein zu können, in der die Probleme in Zukunft wohl eher grösser als kleiner werden.
Das nur ein kleiner Einblick. Das Buch enthält viele praktische Übungen und Denkanstösse.
Es eignet sich also durchaus für die Ferien. Vielleicht für das letzte Drittel, als Rüstzeug für den Wiedereinstieg in den Alltag.
Was sind deine Strategien, in schwierigen Situationen nicht durchzudrehen?